Warum sollte ich mich mit meiner eigenen Trauerrede befassen? Da muss ich mich ja schon zu Lebzeiten mit dem Abschied von dieser Welt auseinandersetzen! Mit meiner eigenen Endlichkeit! Das geht nicht! Das will ich nicht! Bloß nicht!
Und überhaupt? Wozu soll das denn wieder gut sein? Muss ich jetzt auch noch an der Performance als erfolgreiche Tote arbeiten?
Warum eine eigene Trauerrede schreiben?
Solche Gedanken sind den meisten von uns „Fiftysomethings“ noch relativ fern. Ganz davon abgesehen setzen sich die wenigsten von uns mit Tod, Sterben und Trauer auseinander.
Deshalb mag es sich schwierig anfühlen, schon jetzt über eine Trauerrede für den eigenen Abschied von dieser Welt nachzudenken.
Wie wäre es, das Wort „Trauerrede“ zunächst einmal durch „Gebrauchsanweisung für den Rest meines Lebens“ zu ersetzen? Denn letztlich geht es doch darum, dass wir bestimmen, was den Menschen von uns in Erinnerung bleiben soll. Und es kann nur das erinnert werden, was wir auch wirklich ins Leben gebracht haben.
Oder hast Du schon einmal in einer Trauerrede diesen Satz gehört: „Sie wollte immer so gern freundlich und tolerant sein. Das ist ihr aber nie gelungen.“ 😉 Da ist frau doch froh, so etwas als Verblichene nicht mehr vernehmen zu müssen!
Vielleicht war ich ein „Frühchen“. Denn ich habe meine erste Trauerrede bereits in sehr jungen Jahren geschrieben. Der Auslöser war die Beisetzung eines von mir sehr geliebten Onkels, bei der ein Pastor die anwesende Trauergesellschaft mit Allgemeinplätzen über das Paradies, Gottes Wille und unser aller Sünden piesackte.
Ich war entsetzt und erbost.Das sollte mir nicht passieren! Gleich zuhause setzte ich mich an den Schreibtisch.
Dies sind ein paar gute Argumente für das Schreiben der eigenen Trauerrede:
1. Die Trauerrede als Leitbild für das eigene Leben
Natürlich ist es mir wichtig, wie ich den Menschen in Erinnerung bleibe. Niemand wünscht sich, mit einem Schulterzucken und den Worten „Ach, die Frau X ist gestorben? Wer war das noch gleich?“ aus diesem Leben entlassen zu werden.
Die meisten von uns wünschen sich doch stattdessen, dass wir fehlen, wenn wir nicht mehr in dieser Welt unterwegs sind.
In meiner Trauerrede schreibe ich über das, was ich bisher in meinem Leben finden durfte, über den tiefen Sinn meines Hier-Seins, mein Lebensmotto und wie bzw. ob ich es erfüllt habe.
Außerdem liste ich die drei schönsten Eigenschaften, an die sich meine Lieben erinnern sollten, auf. Auch die haben sich im Laufe der Jahre immer mal wieder geändert. Wollte ich früher unbedingt als besonders leistungsfähig wahrgenommen werden, sind mir heute Toleranz und Empathie wichtiger.
Und obwohl es mir immer ein bisschen Gänsehaut macht, weil es möglicherweise arrogant klingt, schreibe ich auf, wie es mir gelungen ist, diese Welt ein bisschen besser und freundlicher zu hinterlassen als sie es vor meiner Ankunft in diesem Leben war.
Je mehr ich beim Verfassen dieser meiner Trauerrede ins Detail gegangen bin, desto größer wurde mein Wunsch, dem zu entsprechen, woran sich meine Lieben erinnern sollen. Und an jedem Geburtstag, wenn ich sie überarbeite, reflektiere ich, inwieweit mir das auch gelungen ist.
2. Ein Dankeschön an die Menschen, die uns begleitet haben
… und an die, die uns noch finden werden. Dieser Teil ist Rückschau und „Bestellung“ in einem.
Je nachdem, wann wir unsere Trauerrede zum ersten Mal schreiben, hat es schon eine kleinere oder größere Anzahl von Menschen gegeben, die mit uns ein Stück unseres Lebensweges zurückgelegt haben: Unsere Eltern, Großeltern, Tanten, Onkel, Freundinnen, Lehrerinnen, Professorinnen, Ausbilderinnen, Chefinnen, Kundinnen/Klientinnen, Bekannte, Nachbarinnen…
Sie alle haben zum Gelingen unseres Lebens beigetragen. Entweder durch tatkräftige und emotionale Unterstützung oder indem sie uns gespiegelt und unsere Knöpfe gedrückt haben. Robert Betz bezeichnet die zuletzt genannten Begleiterinnen gern als „Arschengel„. 😉 Das sind die Menschen, die unser Kopf in die Schublade „doof, unmöglich, unverschämt…“ sortiert hat.
Gerade diese „Arschengel“ verdienen unsere Würdigung. Denn sie hatten und haben eine wichtige Funktion für unsere Entwicklung.
3. Rückblick und Versöhnung mit der Vergangenheit
Einmal im Jahr überprüfe ich meine Trauerrede auf Aktualität. Steht immer noch alles drin, was mir wichtig ist? Hat sich etwas geändert? Sind Menschen, die bisher Erwähnung fanden, inzwischen nicht mehr an meiner Seite? Gibt es neue Erfahrungen, die ich gern in meine Rede einfließen lassen möchte?
Diese regelmäßige Rückschau führt dazu, dass ich mit vielem abschließen kann, was sich in der Vergangenheit ereignet hat. Mich ein weiteres Mal über ein schönes Erlebnis freuen, mit eventuell vorhandenem altem Groll auseinandersetzen oder Dinge mit etwas (zeitlichem) Abstand verzeihen.
Weggefährtinnen, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht mehr bei mir sind, kann ich würdigen und ihnen ein paar freundliche Gedanken schicken.
Diese Tätigkeit ist für mich ein bisschen wie das Schreiben eines Tagebuches oder eines Jahresrückblicks, aber aus einer so genannten Meta-Position heraus, mit genügend Abstand zum Geschehenen.
Ein Auszug aus meiner aktuellen Trauerrede
Falls ich versehentlich vor einen Bus laufe, das Leben beschließen sollte, dass ich meinen letzten Marathon woanders laufen muss oder Du 2059 irgendwo in der Nähe bist, sei doch bitte so nett und schau bei meiner Trauerfeier nach dem Rechten. Du weißt ja jetzt, warum mir das so wichtig ist. 😉
„Sabine hat ihren letzten Lauf hinter sich gebracht – mit einem Lächeln auf den Lippen und dem einen oder anderen Geschimpfe über den Streckenverlauf. Sie war schon zu ihren Lebezeiten ein freiheitsliebender und zufriedener Mensch. Ich bin sicher, dass sie auch glücklich und frei gestorben ist.
Sie hat alles, was sie tat, mit ganzem Herzen getan, mit aller ihr zur Verfügung stehenden Energie und immer mit dem Wunsch, für das Gute einzustehen.
Richtig gut war sie auch im Finden von Sackgassen und im Einrennen von scheinbar geschlossenen Türen.
Wenn es nicht funktioniert hat, ist sie entweder umgekehrt oder hat einen anderen Weg ausprobiert. Besonders haben wir alle an ihr geschätzt, dass sie andere Menschen in Ruhe den eigenen finden lassen hat.
Seit vielen Jahren lautete Sabines Leitsatz: „Ich erhoffe nichts. Ich fürchte nichts. Ich bin frei.“ Dass sie danach gelebt hat, wissen wir. Schon lange kümmerte sie sich nicht mehr um fremde Meinungen und folgte stattdessen ihrem Herzen. Und sie hat viele Menschen darin unterstützt, das ebenfalls zu tun.
Die schönsten Wesenzüge, die wir mit Sabine verbinden, sind ihre Freundlichkeit und Lebensfreude, ihr Humor, die Fähigkeit, fast immer die richtigen Worte zu finden und ihre Suche nach der guten Absicht bzw. dem guten Grund hinter fast jedem Verhalten.
Sabine hinterlässt diese Welt freundlicher und liebevoller. Denn sie hat immer versucht, die Menschen da zu lassen, wo sie sein wollten, ohne etwas zu ver- oder zu beurteilen. Das hat sie allerdings nicht daran gehindert, auch immer mal wieder kräftig zu lästern. 😉
Es ist ihr gelungen, immer wieder neue Perspektiven zu finden, für die meisten Menschen Verständnis aufzubringen und sie trotzdem zur Veränderung zu motivieren – ohne Druck und Schakka, aber mit sehr viel Wertschätzung und getragen von ihrem Wunsch, sich auch auf fremden Landkarten zurechtzufinden.
Der tiefe Sinn in Sabines Leben war es, mehr Freundlichkeit und Freude in die Welt zu bringen. Das ist ihr gelungen.“
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