Jedes Mal, wenn ich den schrabbeligen Discounter im Nachbarort besuche, habe ich das Gefühl einer Zeitreise in ein DDR-Geschäft der 70er Jahre:
Leere Regale, wenig Auswahl, stattdessen sehr viel Obst und Gemüse aus der vorletzten Lieferung.
Natürlich rege ich mich jedes Mal auf. Für ca. 2 Minuten. Länger will ich mich nicht über eine Sache aufregen, die ich immer wieder tue, um mich aufzuregen.
Wenn ich damit fertig bin, denke ich zweierlei:
- Die Belegschaft hat gewechselt. Bis vor kurzem waren viele Frauen um die 50 oder sehr deutlich darüber dort beschäftigt. Die hatten ein gutes Gespür dafür, wie ein anderer Mensch die Leere in den Regalen wahrnehmen könnte. Ich glaube, viele von uns „Fiftysomethings“ sind ziemlich gut darin, die Welt mit den Augen ihres Gegenübers wahrzunehmen. Inzwischen verräumen vorwiegend Schülerinnen die Ware. Und die arbeiten so, wie sie bezahlt werden, scheint mir.
- Das fehlende Angebot macht kreativ. Deshalb koche ich nicht nach Kochbuch, sondern bastele aus dem Vorhandenen etwas zurecht. Meistens schmeckts.
Das zeigt mir: Nicht die Realität ist das Problem, sondern das, was ich über die Realität denke.
Meine Bewertungen sind es, die meine Wahrnehmung – und damit meine Laune – bestimmen.
Ich war heute trotzdem im nächstgrößeren Ort einkaufen… 😉
Ich liebe es, wenn ich wieder ein neues Wort lerne und „schrabbelig“ gehört eindeutig dazu; noch dazu klingt es viel netter, als schmuddelig, dahingerotzt oder inadäquat 🙂
Selbst in Wien ärgere ich mich oft darüber, wenn gerade die Lebensmittel aus sind, die ich für ein Gericht bräuchte. Ich überlasse daher immer öfter meinem Mann das Kochen. Er hat auch keine guten Worte für das Grätzel übrig, in dem ich wohne. Kulinarische Wüste, hat er unlängst gemeint.
LG – Uli
Neue Wörter sind irre wichtig und inspirierend, liebe Uli! Deshalb würde ich „Grätzel“ sehr gern meinem Vokabelheft hinzufügen, weiß aber die Übersetzung noch nicht. Hilfst Du da bitte aus?
Gruß aus dem schrabbeligen Dankelshausen ins grätzelige Wien!
Sabine
Grätz(e)l, das
Ist eine wienerische Bezeichnung für ‘Häuserblock, Wohnbereich, Kiez’. Es kommt aus dem Mittelhochdeutschen für Gereize = Umkreis.
🙂
Das ist ja spannend – in Göttingen gibt es nämlich eine Grätzelstraße. Die ist allerdings nach Johann Heinricht Grätzel, einem Tuchfabrikanten, benannt.