Tim und ich
Liebe/r Abonnent,

Die Liebenden.

Zwei Menschen, die sich lieben, aber auch eine Tarot-Karte.

Die habe ich gestern gezogen, als ich darüber nachsann, warum mein Mann Tim vor ein paar Tagen gehen musste.

Mein erster Gedanke beim Anblick der Karte war: "Bisschen spät, oder?"

Beim weiteren Ansehen dachte es aber noch einiges mehr in mir. Alles, was diese Karte zeigt, Mann und Frau, Schwarz und Weiß, Kampf und Frieden - alle diese Anteile und Gegensätze hat jeder Mensch in sich.
Die Liebenden

Manchmal suchen wir nach Vollständigkeit

Wir kennen wahrscheinlich alle dieses Gefühl, nicht ganz, nicht vollständig zu sein, die Vorstellung, dass irgendetwas fehlt. Deshalb suchen viele von uns verzweifelt und angestrengt nach einem anderen Menschen, der in der Lage ist, uns das, was uns vermeintlich fehlt und was wir dringend brauchen, zu geben.

Das funktioniert nicht.

Ein anderer Mensch kann nicht füllen, was wir nicht selbst haben.
Ein anderer Mensch kann uns ergänzen, kann uns den Spiegel vorhalten, kann ein "Arschengel" für uns sein, der zeigt, wo wir selbst etwas vor uns verstecken.
Ein anderer Mensch kann unser Leben bereichern und bunter machen. Aber er kann uns nichts schenken, was wir selbst uns nicht geben können.

Wir haben alles, was wir für ein erfülltes Leben brauchen, in uns


Mit meinem Mann und mir haben sich zwei Menschen getroffen, die auch zunächst im Gegenüber etwas gesucht haben, was in dieser Form nicht da war. Darüber sind wir anfangs ins Hadern gekommen, waren ent - täuscht.

Aber nach einigen Jahren haben wir festgestellt, dass es okay ist, wie es ist. Wir konnten erkennen, dass wir keine Puzzleteile sind, die nur gemeinsam ein ganzes Bild schaffen können, sondern dass jede/r für sich bereits vollständig ist.

Irgendwann hatten wir beide dann ein gemeinsames Bild vor Augen: Morgens starteten wir von einer kleinen Insel, jede/r mit einem eigenen Boot. Diese beiden Boote kurvten durch die Welt, und am Abend haben wir wieder auf unserer Insel angelegt. Ab diesem Zeitpunkt waren wir gut miteinander. Nicht zuckersüß, nicht zwanghaft harmonisch; ich glaube, wir fanden beide genügend Verhaltensweisen beim Anderen, die uns ein inneres "Och nö!!!", Augenrollen oder tiefes Durchatmen entlockten. Aber die starke gemeinsame Basis stand nie in Frage.

Das, was wir gemeinsam gemacht haben, war nicht spektakulär: Austausch über die Freuden und Ärgernisse des Tages, der Wocheneinkauf, gemeinsame Mahlzeiten, die aktuelle Lieblingsserie, Treffen mit Freund/innen, Urlaub, Besprechen anstehender Reparaturen an allem möglichen, manchmal Diskussionen über das aktuelle Tagesgeschehen und die Erkenntnis, dass wir viel schlauer sind als viele andere... ;-)

Ein ganz normaler Alltag auf unserer Insel...

Tim ist jetzt mit seinem Boot woanders hingefahren. Ich bin noch da.

Was mich tröstet: Ich bin immer noch ganz, muss nichts suchen. Alles, was ich brauche, habe ich in mir. Mit Tim durfte ich einen gemeinsamen Weg zurücklegen, und dafür bin ich dankbar.
Mein Mann und ich
Vielleicht fragst Du Dich, warum ich über meine Trauer in einem Newsletter schreibe und, falls Du meinen oder Friedas Nachruf gelesen hast, in einem Blogartikel.

Tut "man" das?


Ich tue das, weil ich das Bedürfnis habe, meine Gedanken mit Dir zu teilen. Denn es sind trotz meiner tiefen Traurigkeit gute Gedanken.

Ich bin dankbar dafür, dass mein Mann und ich ganz von selbst darauf geachtet haben, uns immer liebevoll voneinander zu verabschieden.
Dass wir nichts auf später verschoben haben, was uns wichtig war.
Dass wir gut miteinander sein konnten, weil wir im Gegenüber einen ganz anderen Menschen statt der Ergänzung eines fehlenden Teils gesehen haben.
Und dass wir uns da gelassen haben, wo wir jeweils waren, statt uns an vermeintlichen Fehlern des Anderen abzuarbeiten.

Wir wissen nicht, ob wir unsere Liebsten morgen wiedersehen; umso wichtiger finde ich es, dem Menschen an unserer Seite immer wieder zu sagen, wie wunderbar er ist.
Schritte von mir weg
Jede Liebe ist ein Meilenstein, kein Endpunkt.

Machen wir es uns schön! SOFORT! ;-)

Herzlichst Deine

Sabine Scholze
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